OLG Saarbrücken: Zur Haftung des Arztes bei verzögerter Erstellung eines ärztlichen Zeugnisses (Invaliditätsfeststellung nach Ziff. 2.1.1.1 AUB 2008)

Urt. des OLG Saarbrücken vom 27.07.2016 (1 U 147/15)

Tatbestand:

Der Kläger macht Ansprüche infolge einer nicht rechtzeitigen Weiterleitung einer Bescheinigung (ärztliche Invaliditätsfeststellung nach Ziffer 2.1.1.1 AUB) durch den Beklagten geltend.

Der Beklagte, Chefarzt der Unfallchirurgie eines Krankenhauses versorgte beim Kläger operativ eine Patellasehnenruptur. Der Kläger machte in der Folge aufgrund eines behaupteten Dauerschadens Ansprüche auf Invaliditätsleistungen gegen seine Unfallversicherung, geltend. Diese übersandte dem Kläger einen Vordruck „fachärztliche Bescheinigung zur privaten Unfallversicherung“, mit der Aufforderung, diesen bis spätestens 13. Dezember 2012 ausgefüllt an die Versicherung zurückzureichen.

Der Kläger suchte den Beklagten am 15. November 2012 in dessen Ambulanzsprechstunde auf. Der Beklagte fertigte die fachärztliche Bescheinigung unter dem Datum des 29. Dezember 2012 aus und übersandte diese an den Unfallversicherer des Klägers, wo sie am 21. Januar 2013 einging. Die Versicherung lehnte daraufhin eine Leistung ab, da die Frage, ob ein unfallbedingter Dauerschaden vorliege und wann dieser erstmalig ärztlich festgestellt wurde, vom Arzt habe leider nicht beantwortet werden können. Die Frist zur ärztlichen Feststellung des Dauerschadens sei inzwischen abgelaufen, so dass man deshalb nicht leisten könne.

Eine vom Kläger vor dem Landgericht Bad Kreuznach gegen die Versicherung erhobene Klage wurde abgewiesen, da die Frist zur Vorlage der ärztlichen Invaliditätsbescheinigung (Ziffer 2.1.1.1 AUB) nicht eingehalten worden sei und es sich bei dieser um eine die Entschädigungspflicht des Versicherers begrenzende Anspruchsvoraussetzung handele.

Der Kläger hat den Beklagten bei dem LG Saarbrücken auf Schadensersatz in Höhe von 7.300 Euro verklagt. Die Patellsehnenruptur habe bei ihm zu einem Dauerschaden geführt, aufgrund dessen die Versicherung Invaliditätsleistungen in Höhe von 7.300 Euro hätte erbringen müssen.

Das OLG Saarbrücken hat in seinem Berufungsurteil vom 27.07.2016 das klagabweisende Urteil des LG Saarbrücken im Ergebnis mit der Begründung bestätigt, dass der Kläger die Verzugsvoraussetzungen nach § 286 BGB nicht beweisen konnte.

Das OLG Saarbrücken hat aber zur grundsätzlichen Haftung des Arztes für die verzögerte Vorlage eines ärztlichen Attestes das Folgende klargestellt:

  • Ein Arzt kann nach Verzugsgesichtspunkten gegenüber einem Versicherungsnehmer haften, wenn er die Erstellung eines ärztlichen Zeugnisses verzögert  (vgl. BGH, Urteil vom 22. November 2005 – VI ZR 126/04 -, juris Rn. 10, NJW 2006, S. 687; BGH, Urteil vom 19. Februar 1981 – IVa ZR 98/80 –, Rn. 18, juris;)
  • Da die vom Beklagten geforderte ärztliche Bescheinigung vorliegend zur Erlangung von Leistungen aus der Unfallversicherung diente, ist es nahe liegend, die wirtschaftlichen Interessen des Patienten in den Schutzbereich der vertraglichen Verpflichtung des Arztes einzubeziehen, das ärztliche Zeugnis innerhalb einer angemessenen Zeit zu erstellen. Die ärztliche Standespflicht § 25 Satz 2 MBO-Ä, Gutachten und Zeugnisse innerhalb einer angemessenen Frist abzugeben, zu deren Ausstellung er verpflichtet ist oder die auszustellen er übernommen hat,  ist zugleich eine Rechtspflicht.
  • Verletzt der Arzt diese in der Weise, dass er das ärztliche Zeugnis schuldhaft verzögert ausstellt, kann er dem Patienten nach Verzugsgesichtspunkten haften.
  • Der Verzugseintritt setzt gemäß § 286 Abs. 1 BGB eine Mahnung voraus, es sei denn  diese ist  nach § 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB entbehrlich.
  • Es ist grundsätzlich Aufgabe Versicherungsnehmers, dafür zu sorgen, dass Bescheinigungen, die zum Erhalt von Leistungen aus der Unfallversicherung geboten sind, rechtzeitig seiner Versicherung vorliegen. Den behandelnden Arzt trifft aus dem ärztlichen Behandlungsvertrag, § 630a BGB, keine generelle vertragliche Nebenpflicht von sich aus auf einzuhaltende Fristen zu achten oder diesbezüglich nachzufragen.
  • Diese nicht die Kernaufgaben ärztlicher Tätigkeit betreffende Pflicht kann nur dann bestehen, wenn der Patient auf die Eilbedürftigkeit und den drohenden Fristablauf hingewiesen hat (vgl. hierzu OLG München, Urteil vom 29. Juli 2004 – 1 U 2965/04 -, juris, Rn. 30, VersR 2005, S. 1535).

Urt. des OLG Saarbrücken vom 27.07.2016 (1 U 147/15)

Ihr Ansprechpartner: RA Jan Hinsch-Timm (Fachanwalt für Versicherungsrecht)

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