BGH: Verjährung von Schadensersatzansprüchen im Zusammenhang mit dem Dieselskandal

Der BGH hatte erneut über die Verjährung von Schadensersatzansprüchen im Zusammenhang mit dem sogenannten Dieselskandal zu entscheiden sowie über einen gegen die Volkswagen AG geltend gemachten Anspruch aus § 852 Satz 1 BGB bezüglich eines von dieser hergestellten und in ein Neufahrzeug der AUDI AG eingebauten Dieselmotors des Typs EA 189.

Die Klägerin nahm die beklagte Volkswagen AG wegen der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung in ihrem Fahrzeug Audi Q5 2.0 TDI, das im Dezember 2011 bei einem Autohändler als Neuwagen zum Preis von 54.000 € erworben worden war, auf Schadensersatz in Anspruch. Das Fahrzeug ist mit einem von der Beklagten hergestellten Dieselmotor des Typs EA 189 ausgestattet. Der Motor enthielt eine Steuerungssoftware, durch welche auf dem Prüfstand beim Durchfahren des Neuen Europäischen Fahrzyklus geringere Stickoxidwerte erzielt wurden als im realen Fahrbetrieb („Umschaltlogik“).

Am 22. September 2015 veröffentlichte die Beklagte eine Ad-hoc-Mitteilung, wonach Fahrzeuge mit Dieselmotoren des Typs EA 189 im Gesamtvolumen von weltweit elf Millionen Stück auffällig seien. In der Folge wurde über die Thematik in den Medien umfangreich berichtet und diese allgemein als „Abgas-“ beziehungsweise „Dieselskandal“ bezeichnet. Auch über die Betroffenheit anderer Konzernmarken wie Audi wurde von Anfang an berichtet. Am 25. September 2015 gab die Beklagte öffentlich bekannt, dass an einer technischen Lösung gearbeitet werde. Am 29. September 2015 informierte sie darüber, dass sie einen Aktionsplan erarbeitet habe, nach dem den Behörden Maßnahmen vorgeschlagen, Kunden informiert und eine Webseite zur individuellen Überprüfung erstellt würden. Anfang Oktober 2015 schaltete die Beklagte eine Webseite frei, auf der jedermann unter Eingabe der Fahrzeug-Identifizierungsnummer (FIN) ermitteln konnte, ob das Fahrzeug mit einem vom sogenannten Dieselskandal betroffenen Motor ausgestattet war. Hierüber informierte die Beklagte mit Pressemitteilung vom 2. Oktober 2015, worüber in den Medien berichtet wurde. Daneben bestand die Möglichkeit, sich telefonisch oder schriftlich bei der Beklagten zu informieren, ob in einem konkreten Pkw die Software verbaut ist. Im Dezember 2015 gab die Beklagte das Ziel aus, die Erfüllung der Abgasnormen ohne Beeinträchtigung der Motorleistung, des Verbrauchs und der Fahrleistungen zu erreichen. Kunden wurden gebeten, vor aktiver Kontaktaufnahme zu einem Volkswagen-Partnerbetrieb weitere schriftliche Informationen abzuwarten.

Mit ihrer im Jahr 2020 eingereichten Klage hat die Klägerin die Erstattung des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung nebst Zahlung von Prozesszinsen Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs, die Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten sowie die Zahlung vorgerichtlicher Rechtsverfolgungskosten verlangt. Sie hat behauptet, erst durch ein Schreiben der AUDI AG im Januar 2017 von der Betroffenheit ihres Fahrzeugs vom sogenannten Abgasskandal erfahren zu haben. Die Beklagte hat die Einrede der Verjährung erhoben.

Die Klage hatte in den Vorinstanzen weitgehend Erfolg. Das Berufungsgericht ist davon ausgegangen, ein Anspruch der Klägerin auf Schadensersatz wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung sei nicht verjährt. Der BGH ist dem nicht gefolgt und hat die Klage insgesamt abgewiesen.

Der von der Klägerin geltend gemachte Schadensersatzanspruch nach § 826 BGB sei verjährt. Rechtsfehlerhaft habe das Berufungsgericht angenommen, die Klägerin habe die für den Verjährungsbeginn erforderliche Kenntnis ohne grobe Fahrlässigkeit im Sinne von § 199 Abs. 1 Nr. 2 Fall 2 BGB erst im Jahr 2017 erlangt. Grob fahrlässige Unkenntnis der Klägerin von der Betroffenheit ihres Fahrzeugs lag vielmehr schon bis Ende 2016 vor. Die dreijährige Verjährungsfrist des § 195 BGB begann daher mit Schluss des Jahres 2016 und konnte durch die im Jahr 2020 erhobene Klage nicht mehr gehemmt werden.

Ausgehend von ihrer allgemeinen Kenntnis vom sogenannten Dieselskandal habe die Klägerin spätestens bis Ende 2016 Veranlassung gehabt, die Betroffenheit ihres Fahrzeugs zu ermitteln. An den diesbezüglichen Grundsätzen seiner bisherigen Rechtsprechung hat der BGH festgehalten. Dass die Klägerin nach einer allgemeinen Ankündigung der Beklagten, die Kunden zu informieren, kein Anschreiben im Jahr 2016 bekommen haben will, und Kunden Ende 2015 noch gebeten wurden, vor aktiver Kontaktaufnahme zu einem Volkswagen-Partnerbetrieb weitere schriftliche Informationen abzuwarten, begründe kein zeitlich unbegrenztes berechtigtes Vertrauen der Klägerin darauf, ihr Fahrzeug sei nicht betroffen. Angesichts der Länge des seit Bekanntwerden des sogenannten Dieselskandals verstrichenen Zeitraums habe für die Klägerin spätestens bis Ende 2016 Anlass bestanden, diese Betroffenheit selbst zu recherchieren. Dies nicht getan zu haben, sei grob fahrlässig.

Das Berufungsurteil erweise sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig. Soweit die Klägerin in der Revisionsverhandlung auf hilfsweises Vorbringen betreffend einen Anspruch auf Restschadensersatz nach § 852 Satz 1 BGB Bezug genommen hat, folgt auch hieraus keine Haftung der Beklagten.

Ein Anspruch aus § 852 Satz 1 BGB setze in Fällen der vorliegenden Art voraus, dass die Beklagte im Verhältnis zum Geschädigten etwas aus dem Fahrzeugverkauf an diesen erlangt habe. Eine solche Vermögensverschiebung im Sinne von § 852 Satz 1 BGB sei im Verhältnis zwischen der Klägerin und der Beklagten zu verneinen. In der vorliegenden Konstellation des Erwerbs eines von einer Tochtergesellschaft der Beklagten hergestellten und in den Verkehr gebrachten Fahrzeugs, das mit einem von der Beklagten hergestellten und mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Motor ausgestattet ist, scheide ein Anspruch des Geschädigten nach § 852 Satz 1 BGB gegen die Beklagte regelmäßig auch dann aus, wenn der Geschädigte das Fahrzeug als Neuwagen erworben hat. Denn in diesen Fällen habe die Beklagte einen wirtschaftlichen Vorteil allenfalls im Zusammenhang mit der Herstellung und Veräußerung des Motors erlangt und nicht durch das spätere Inverkehrbringen des nicht von ihr entwickelten und hergestellten Fahrzeugs, in das der Motor eingebaut wurde. Der schadensauslösende Vertragsschluss über den Fahrzeugerwerb zwischen Geschädigtem und Fahrzeughändler einerseits sowie ein möglicher Vorteil der Beklagten aus der konzerninternen Überlassung des Fahrzeugmotors an den Fahrzeughersteller andererseits beruhe gerade nicht auf derselben – auch nicht nur mittelbaren – Vermögensverschiebung, wie sie der Anspruch nach § 852 Satz 1 BGB voraussetzt. Dem Motorhersteller, der einen Vorteil bereits mit der Herstellung und Veräußerung des Motors realisiert hat, fließt im Zusammenhang mit dem Abschluss des ungewollten Kaufvertrags und dem hierauf beruhenden Vermögensschaden des geschädigten Fahrzeugerwerbers durch seine (des Motorherstellers) unerlaubte Handlung nichts – mehr – .

Dass im Ausgangspunkt auch eine deliktische Haftung des Motorherstellers gegenüber dem Fahrzeugerwerber in Betracht zu ziehen ist, wenn der Motorhersteller den Motor mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausstattet und in dem Bewusstsein in den Verkehr bringt, dass er von seiner Tochtergesellschaft in ein Fahrzeug verbaut und dieses an einen arglosen Käufer veräußert werden wird, stehe nicht entgegen. Denn die deliktische Haftung knüpft in diesen Fällen daran an, dass der Motorhersteller sich bereits bei der dem Fahrzeugerwerb vorgelagerten Herstellung des Motors und der Programmierung der Motorsteuerungssoftware die Arglosigkeit und das Vertrauen der Fahrzeugkäufer in die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben zunutze gemacht hat. Diese Tatbestandsvoraussetzung der Schadensersatzhaftung ist jedoch von der Frage zu trennen, ob der Schädiger durch die unerlaubte Handlung selbst etwas im Sinne von § 852 Satz 1 BGB auf Kosten des Geschädigten erlangt hat.

Auch der Umstand, dass die beklagte Motorherstellerin als Konzernmutter der Fahrzeugherstellerin mit dieser wirtschaftlich verflochten ist, führt zu keiner anderen Beurteilung. Der Umsatzerlös der Tochtergesellschaft aus dem Verkauf eines von ihr hergestellten Fahrzeugs begründet weder unmittelbar noch mittelbar einen damit deckungsgleichen Wertzuwachs des Geschäftsanteils der Muttergesellschaft. Dass nach dem Vortrag der Klägerin zwischen der Beklagten und der Fahrzeugherstellerin ein Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag besteht, ist ebenfalls unerheblich. Denn insoweit hat die Beklagte allenfalls einen Vorteil im Zusammenhang mit einem etwaigen Gesamtgewinn der Fahrzeugherstellerin im Geschäftsjahr 2011 erzielt, nicht jedoch – worauf es im Rahmen des § 852 Satz 1 BGB entscheidend ankommt – konkret im Zusammenhang mit dem – im Streitfall an den Fahrzeughändler – gezahlten Kaufpreis.

BGH, Urteil vom 14. Juli 2022 – VII ZR 422/21

Ihr Ansprechpartner:
Oliver Meixner
Rechtsanwalt | Partner
Fachanwalt für Versicherungsrecht

Weitere Themen

BGH entscheidet zur materiellen Wirksamkeit von Beitragsanpassungen in der privaten Krankenversicherung

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat am 20. März 2024 eine mit Spannung erwartete Entscheidung zu der Frage getroffen, inwieweit bei Beitragsanpassungen

BGH: Voraussetzungen für Beitragsanpassungen in der privaten Krankenversicherung bei einem Beitragsentlastungstarif

Nachdem der BGH in den letzten Jahren wiederholt über Beitragsanpassungen in der privaten Krankenversicherung geurteilt hatte, vor allem zu den

BGH: Differenzschaden in „Dieselverfahren“ nach dem Urteil des EuGH

Der BGH hat auf die Revisionen der Kläger die Berufungsurteile in drei Diesel-Verfahren (Thermofenster) aufgehoben und die Sachen zur neuen

BGH: Verkehrssicherungspflichten und Pkw-Ersatzschlüssel

Nach einem Urteil des Bundesgerichtshofs ist ein Autohändler verpflichtet, bei der Bestellung und Ausgabe von Ersatzschlüsseln die Legitimität der Schlüsselanforderungen