BGH: Schadenfreiheitssystems mit variabler Selbstbeteiligung in der Rechtsschutzversicherung

Der BGH hat entschieden, dass die durch §§ 127, 129 VVG, § 3 Abs. 3 BRAO gewährleistete freie Anwaltswahl finanziellen Anreizen eines Versicherers in Bezug auf eine Anwaltsempfehlung nicht entgegensteht, wenn die Entscheidung über die Auswahl des Rechtsanwalts beim Versicherungsnehmer liegt und die Grenze des unzulässigen psychischen Drucks nicht überschritten wird.

Die klagende Rechtsanwaltskammer verlangt von der Beklagten – einem Rechtsschutzversicherer – unter anderem, die Verwendung von Bestimmungen in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Rechtsschutzversicherung (ARB 2009) zu unterlassen, die ein Schadenfreiheitssystem mit variabler Selbstbeteiligung im Zusammenhang mit einer Anwaltsempfehlung betreffen. Die Bedingungen sehen eine Rückstufung von maximal 150 € pro Schadenfall vor, wobei diese durch Zeitablauf in den Folgejahren wieder ausgeglichen werden kann. Im Schadenfall unterbleibt allerdings diese Rückstufung – und damit in der Regel eine höhere Selbstbeteiligung beim nächsten Versicherungsfall -, wenn der Versicherungsnehmer einen Rechtsanwalt aus dem Kreis der aktuell vom Versicherer empfohlenen Rechtsanwälte beauftragt.

Das OLG Bamberg hatte die Beklagte noch dazu verurteilt, die Verwendung der streitgegenständlichen Bestimmungen in ihren AVB zu unterlassen.

Der BGH hat das Urteil des Oberlandesgerichts aufgehoben. Zur Begründung hat er ausgeführt, dass das Recht auf freie Anwaltswahl im Zuge der Umsetzung der Richtlinie des Rates vom 22. Juni 1987 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Rechtsschutzversicherung (87/344/EWG) im VVG verankert wurde und § 127 VVG deshalb richtlinienkonform auszulegen ist. Nach der maßgeblichen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs schließt die Freiheit der Anwaltswahl nicht jegliche Anreizsysteme des Versicherers in Bezug auf die vom Versicherungsnehmer zu treffende Entscheidung aus, welchen Anwalt er manieriert. Die Grenze zur Verletzung des Rechts auf freie Anwaltswahl wird erst überschritten, wenn die Vertragsgestaltung einen unzulässigen psychischen Druck zur Mandatierung des vom Versicherer vorgeschlagenen Anwalts ausübt. Das ist bei den von der Beklagten verwendeten Versicherungsbedingungen nicht der Fall.

Das Berufungsgericht hat diese richtlinienkonforme Auslegung nicht berücksichtigt und infolgedessen das Recht auf freie Anwaltswahl aus § 127 VVG zu Unrecht als verletzt angesehen. Ebenso wenig wie § 127 VVG berührt das streitgegenständliche Schadenfreiheitssystem die durch § 3 Abs. 3 BRAO geschützte freie Anwaltswahl in rechtlich erheblicher Weise.

IV ZR 215/12 – Urteil vom 4. Dezember 2013

OMX

Weitere Themen

Studie zu Fluor-Polymeren: Müssen sich Rückversicherer sorgen?

Nach Ansicht von Werner Schirmer – Versicherungsanalyst der LBBW – besteht das Risiko, dass Schadenersatz-Forderungen wegen extrem langlebiger per- und

BGH entscheidet zur materiellen Wirksamkeit von Beitragsanpassungen in der privaten Krankenversicherung

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat am 20. März 2024 eine mit Spannung erwartete Entscheidung zu der Frage getroffen, inwieweit bei Beitragsanpassungen

BGH: Voraussetzungen für Beitragsanpassungen in der privaten Krankenversicherung bei einem Beitragsentlastungstarif

Nachdem der BGH in den letzten Jahren wiederholt über Beitragsanpassungen in der privaten Krankenversicherung geurteilt hatte, vor allem zu den

BGH: Differenzschaden in „Dieselverfahren“ nach dem Urteil des EuGH

Der BGH hat auf die Revisionen der Kläger die Berufungsurteile in drei Diesel-Verfahren (Thermofenster) aufgehoben und die Sachen zur neuen