BGH: Anspruch auf rechtliches Gehör nach Anhörung eines Sachverständigen

Im Anschluss an die Beweisaufnahme, in der ein Sachverständiger angehört wurde, ist den Parteien eine Frist zur schriftlichen Stellungnahme zum Beweisergebnis zu gewähren.

Nach Abschluss der Beweisaufnahme ist grundsätzlich sogleich die mündliche Verhandlung fortzusetzen (§ 370 Abs. 1, § 525 Satz 1 ZPO). Das Gericht hat das Ergebnis der Beweisaufnahme mit den Parteien zu erörtern (§ 279 Abs. 3, § 285 Abs. 1 ZPO). Dies setzt voraus, dass den Parteien Gelegenheit gegeben wird, zur Beweisaufnahme Stellung zu nehmen. Hierdurch wird gewährleistet, dass einer gerichtlichen Entscheidung nur solche Tatsachen und Beweise zugrunde gelegt werden, zu denen sich die Beteiligten vorher äußern konnten (BVerfGE 55, 95, 98 mwN). Zugleich soll die sofortige Stellungnahme im Termin sicherstellen, dass unter dem lebendigen Eindruck der Beweisaufnahme verhandelt und entschieden wird (BGH, Urteil vom 16. Mai 1977 – VIII ZR 311/75, juris Rn. 9). Den Parteien muss daher regelmäßig nicht das Recht eingeräumt werden, sich durch Schriftsatz zum Ergebnis der Beweisaufnahme zu äußern. Die Ablehnung eines entsprechenden Antrags verletzt somit grundsätzlich nicht ihren Anspruch auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG (BGH, Urteil vom 24. Oktober 1990 – XII ZR 101/89, NJW 1991, 1547, 1548).

Dieser Grundsatz gilt jedoch nicht uneingeschränkt. Der Anspruch auf rechtliches Gehör gebietet es, im Anschluss an die Beweisaufnahme eine Frist zur schriftlichen Stellungnahme zum Beweisergebnis zu gewähren, wenn von einer Partei eine umfassende sofortige Stellungnahme nicht erwartet werden kann, weil sie Zeit braucht, um – in Kenntnis der Sitzungsniederschrift – angemessen vorzutragen. Dies ist etwa nach einer komplexen Beweisaufnahme, nach der umfassenden Erörterung eines Sachverständigengutachtens oder auch dann der Fall, wenn der Sachverständige in seinen mündlichen Ausführungen neue und ausführlichere Beurteilungen gegenüber dem bisherigen Gutachten abgegeben hat (BGH, Beschlüsse vom 28. Juli 2011 – VII ZR 184/09, NZBau 2011, 672 Rn. 6 mwN und vom 30. November 2010 – VI ZR 25/09, VersR 2011, 1158 Rn. 5). Nichts anderes gilt, wenn ein Sachverständiger, ohne dass er vorher ein den Parteien zur kritischen Würdigung zugängliches schriftliches Gutachten erstattet hat, in der mündlichen Verhandlung zu schwierigen Sachfragen ausführlich gehört wird (BGH, Beschluss vom 12. Mai 2009 – VI ZR 275/08, NJW 2009, 2604 Rn. 8; Huber in Musielak/Voit, ZPO, 15. Aufl., §411 Rn. 3).

BGH, Urteil vom 14. Juni 2018 – III ZR 54/17 –, Rn. 25

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